Samstag, 27. September 2014, Kapplerbrauerei Altomünster.
Der erste Eindruck ist Chaos. Die Fahrzeuge der Feuerwehr fahren vor, die Mannschaften steigen aus, schauen sich um. Einige legen Ihre Atemschutzausrüstung an, andere rollen Schläuche ab und bereiten sich auf ein eventuelles Feuer vor. Ein erster Verletzter wird gefunden, schreiend vor Schmerzen. Ein Ammoniak-Unfall, wie sich herausstellt. Einige Feuerwehrleute scheinen zu warten, stehen bei Ihren Fahrzeugen und schauen sich um.
Der erste Eindruck ist Chaos. Und im Fachjargon wird diese erste Phase tatsächlich Chaosphase genannt, wie uns Kreisbrandmeister Jürgen Eder erläuterte. Mit dem Eintreffen vor Ort übernimmt der Einsatzleiter sofort das Kommando. In der Regel ist das der lokal zuständige Kommandant. Bei der Übung am Samstag übernimmt diese Rolle der 1. Kommandant der FFW Altomünster, Peter Heinrich. Die wichtigsten Aufgaben in den ersten Minuten sind: die Lage zu sondieren, sich ein Bild zu machen und die erforderlichen Maßnahmen festzulegen. Das muss schnell gehen, denn die anrückenden Einheiten wenden sich zu allererst an den Einsatzleiter um zu erfahren, was von Ihnen erwartet wird. GAMS lautet die Merkhilfe für diesen Gefahrguteinsatz. „Gefahr erkennen“, „Absperrung errichten“, „ Menschenrettung durchführen“ und „Spezialkräfte anfordern“, erklärte Eder.
Heinrich macht seinen Job gut an diesem Tag. Er teilt das Gebiet in verschiedene Abschnitte ein und weist jeweils einen Abschnittsleiter zu, erkennbar an den weißen Westen. Die einzelnen Teams werden eingewiesen und erhalten ihre Anweisungen. Der Einsatzleiter muss es schaffen, Ordnung in das Chaos zu bringen und den Mannschaften ihre Aufgaben zuzuweisen. Sein Job ist die Koordination und die Zuweisung von klaren Verantwortlichkeiten.
Und die braucht es an diesem Samstag. In die Großübung sind Feuerwehren aus allen Gemeinden Dachaus eingebunden, u.a. Altomünster, Oberzeitlbach, Hilgertshausen, Tandern, Kleinberghofen, Dachau, Thalhausen, Hohenzell, Eisenhofen, Wollomoos und Hebertshausen.
Allen die kommen, muss Heinrich ihre Aufgaben zuweisen. Ein nicht immer einfacher Job. Über zwanzig Fahrzeuge haben wir gezählt.
Sind die Teams eingeteilt, können sie loslegen. Die erste Hürde im Einsatz ist genommen. Die Teamleiter, erkennbar an den blauen Westen, leiten ihre Teams an.
Der geborgene Verletzte berichtet von vier Kollegen, die vermisst werden. Mit Atemschutz ausgerüstet begeben sich die Männer in die Gefahrenzone der Brauerei. Zwei weitere Verletzte werden geborgen. Wegen der Kontamination mit Ammoniak werden den Verletzten die Kleider ausgezogen, dann geht es zu den Ärzten und Sanitätern, die sich um die Erstversorgung kümmern.
Vor Schmerzen laut schreiend, wird der Schichtleiter abtransportiert. Er macht seine Sache so gut, das einigen der jüngeren Feuerwehrleute das Grinsen vergeht. Auch wenn es nur eine Übung ist, die lauten Schmerzensschreie des Schichtleiters sind einigen unangenehm.
Doch an diesem Samstag warten weitere Hürden auf die Dachauer Feuerwehrmannschaften. Die Mannschaften haben trotz intensiver Suche nur zwei Verletzte gefunden. Dichter Rauch behindert die Rettungskräfte, für einen Ammoniak-Unfall eher ungewöhnlich. Nochmals geht ein Trupp auf die Suche, aber die Vermissten werden nicht gefunden. Im Ernstfall hätten sie wohl keine Überlebenschance.
Einige von den Männern und Frauen die im Einsatz sind, sind bereits mit dem Tod konfrontiert worden. Und in solchen Krisensituationen setzt man auch verstärkt auf psychologische Unterstützung. Der Stress gerade der jungen Leute heute, ist generell höher als früher. Beruf, Freundin, die ständige Erreichbarkeit durch Handy, Freizeitaktivitäten – all das bringt bereits einen hohen Stresspegel mit, so Eder. Der Einsatz bei der Feuerwehr kann einem richtig zusetzen. Psychologische Hilfe ist somit nicht zu unterschätzen.
Man muss sich bewusst machen, dass alle Feuerwehrleute in Dachau, Altomünster eingeschlossen, Freiwillige sind. Erst ab einer Größenordnung von hunderttausend Einwohnern gibt es eine Berufsfeuerwehr. Alles was diese Jungs und Mädels leisten, machen sie in Ihrer Freizeit. Die Belastung im Ernstfall ist groß.
Am Ort des Geschehens ist auch Kreisbrandmeister Ludwig Kraut (links im Bild). Er ist heute einer der „Schiedsrichter“, diese sind erkennbar an den grünen Westen. Mit seinen Kollegen überwacht er die Übung.
Die Inspekteure machen Notizen, stoppen die Zeiten. Alles wird später in einer Nachbesprechung der Führungskräfte besprochen. Kraut geht langsam auf die Rente zu, wie er uns berichtete. Das sieht man dem gestandenen Feuerwehrmann und gebürtigen Altomünsterer aber nicht an. Er ist hochkonzentriert bei der Sache, mit dem Ablauf der Übung aber nicht in allen Teilen zufrieden.
„Wenn jeder heute etwas aus seinen Fehlern lernt, werden wir einen Schritt nach vorn machen“, resümiert er noch während der Übung.
Es sind scheinbar Kleinigkeiten, die im Ernstfall aber entscheidend sein können. Ammoniak ist hoch gefährlich und so müssen die Mannschaften nach dem Einsatz dekontaminiert werden. In einem eigens dafür eingerichteten Abschnitt werden die Feuerwehrleute gesäubert und ziehen sich die Anzüge aus. Eine junge Feuerwehrfrau trägt zum Schutz der Hände unter der Ausrüstung Gummihandschuhe. Die Erste am heutigen Tag, wie wir erfahren.
Noch während die Teams arbeiten, kommen vier Teenager die Straße herab. Sie klagen über Schmerzen und Brennen in den Augen.
Die jungen Feuerwehrleute versuchen, mit diesen laut schreienden Verletzten professionell umzugehen, was nicht leicht ist, denn auch diese vier Verletzten machen ihren Job heute perfekt.
Heinrich ruft zur Lagebesprechung. Er bringt alle Gruppenführer auf den neuesten Stand, Informationen werden ausgetauscht, Anweisungen gegeben. Die zwei Vermissten sind immer noch nicht gefunden worden. Es geht das Gerücht um, sie säßen in einem Nebenraum beim Bier.
Es ist immer noch viel Rauch am Einsatzort, eine große Herausforderung für die Männer. Heute müssen er und seine Männer damit umgehen. Sie saugen das Gas ab und gehen mit Wärmebildkameras auf die Suche nach den beiden Vermissten.
Mit Lausprechern wird die Bevölkerung in Altomünster von dem Unfall informiert. Es bestehe Explosionsgefahr. Die Ansage kommt vom Band. Leider ohne Hinweis, dass es sich um eine Übung handelt. Das Team wird nochmals losgeschickt, um das zu ändern.
Dann trifft das große AB-Umweltfahrzeug aus Dachau ein. Die Übung wurde realitätsnah koordiniert, im Ernstfall treffen die Einsatzkräfte auch zu unterschiedlichen Zeiten ein.
Kraut und Eder entgeht nichts. Für sie ist das Zusammenspiel der einzelnen Teams wichtig, insbesondere auch mit dem ABC-Team.
Es ist kühl in Altomünster, doch die Arbeit der Feuerwehrleute ist schweißtreibend. Insbesondere den Mannschaften mit Atemschutz sieht man die Anstrengung der Übung an.
Der Einsatz nähert sich dem Ende, die Mannschaften haben Ihren Job gemacht.
Auch wenn es eine Übung war, die Erschöpfung ist einigen der Feuerwehrleute anzusehen. Das ist auch gut so, denn je besser die Teams vorbereitet sind, desto besser können sie im Ernstfall reagieren.
Für die Bevölkerung bestand im Übrigen zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr. Der Rauch war Diskonebel und die Mengenangabe des Gefahrgutes wurde für die Übung weit übertrieben. Alle Verletzten konnten auf eigenen Beinen den Heimweg antreten.
Besonderer Dank gilt auch dem Kapplerbräu, dass uns diese Übung gestattet hat, sagte Kraut zum Abschluss. Die Feuerwehren sind auf derartige Mithilfe angewiesen, um ihre Übungen abzuhalten. Kraut warb auch um Verständnis bei der Bevölkerung für die Übung. Aus unserer Sicht sollte die Unterstützung unserer Feuerwehr eine Selbstverständlichkeit sein.
Eine lange, anstrengende Übung liegt hinter den Feuerwehrmännern und –frauen. Für uns war die Teilnahem an dieser Übung sehr spannend. Etwaige Fehler im Bericht liegen an uns. Wir waren so fasziniert vom Geschehen, dass Missverständnisse unserseits nicht auszuschließen sind.
Bildquelle: (c) altonews.de
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