Gastbeitrag Horst Kramer, Wissenschaftsredakteur und Freier Journalist zum Werk:
Kloster Altomünster – Geschichte und Gegenwart (EOS-Verlag, 2020). 

Prof. Wilhelm Liebhart zieht in seinem neuesten Werk zum Kloster Altomünster große historische Linien und schildert dabei plastisch den Alltag und die Sorgen der Klosterbewohnerinnen sowie ihrer Nachbarn.

Was kann uns die Geschichte lehren? Es ist diese Frage, die nicht nur historisch interessierte Menschen von jeher umtreibt. Der Historiker Prof. Wilhelm Liebhart ist einer derjenigen, der darauf in seinen Büchern, Aufsätzen und öffentlichen Auftritten Antworten zu geben weiß. Wie jetzt in seinem neuesten Werk: Kloster Altomünster – Geschichte und Gegenwart (EOS-Verlag, 2020).
Vor einigen Jahren geriet das 1250 Jahre alte Kloster in die Schlagzeilen, als eine selbst ernannte Ordens-Kandidatin das ansonsten verlassene St. Birgitta-Kloster besetzt hielt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Vatikan das Haus bereits aufgelöst.
Liebhart zeichnet in seinem Werk auch diese letzten Wirren um eine Einrichtung nach, die einerseits typisch für Glauben und Leben hierzulande war, andererseits dennoch einzigartig blieb. Beides hat mit den Ortsheiligen zu tun, dem namensgebenden Alto (um 760) und der Schwedin Birgitta Birgersdotter (1303 – 1373), eine Mystikerin, die sich im Alter von 43 Jahren von Christus persönlich berufen fühlte, einen Orden zu gründen. Das ungewöhnliche Leben der Adeligen, die 28 Jahre verheiratet war und acht Kinder gebar, ist eines der vielen spannenden Kapitel von Liebharts Werk. Als die Birgittinnen im Jahre 1497 nach Altomünster zogen, war das Leben des Markts schon ein halbes Jahrtausend durch das Kloster geprägt: Von zirka 970 bis 1056 hatten die Benediktiner hier gelebt. Seit jenem Jahr war es ein Rückzugsort für Frauen, erst als Stift, dann als Benediktinerinnenabtei bis 1488.
Der Historiker bettet die Stationen der Institution gekonnt in die historischen Kontexte: Von den Wirren des Mittelalters und der Reformationszeit über den Dreißigjährigen Krieg und die Säkularisation bis zur Nazizeit und die jüngste Vergangenheit. Liebhart schildert das meist ärmliche Leben der Nonnen ebenso plastisch wie die Leiden der Landbevölkerung. Der Historiker sichtete unter anderem zahllose Handschriften und Druckwerke im Bayerischen Staatsarchiv und konnte Einblick nehmen in die persönlichen Archive zweier verstorbener Priorinnen des Klosters. Besonders spannend: die Passagen aus der Periode zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Gründung der Bundesrepublik. So klagte die Priorin M. Reginalda Reichendinger etwa im Jahre 1920: „Die Weltleute meinen oft: O das Kloster hier ist reich! – und in Wirklichkeit müssen wir mit grösstem Mangel ringen.“ Es gäbe daher nur „Brot, Wassersuppe und Kartoffel und stets Wasser zum Getränke“.
Liebhart gelingt es, die vergangenen Epochen und ihre Akteure uns Gegenwärtigen nahe zu bringen. Dabei beantwortet er auch die historische Sinnfrage am Beispiel Birgittas: „Was kann uns eine Frau des Mittelalters zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch sagen?“ Der Historiker bezweifelt offen, dass die Mystikerin als Vorkämpferin für die „Gleichberechtigung von Mann und Frau“ gelten kann. Stattdessen hebt Liebhart Birgittas Zweifel hervor, etwa an der Ungerechtigkeit der Welt oder am Sinn von Krankheit und Schmerz. „Birgitta hatte Erfahrungen, Ängste, Zweifel und Hoffnungen. Das macht sie menschlich und sympathisch und deshalb bleibt sie aktuell“, folgert Liebhart. Eine Einordnung, die indes nicht nur für die Ordensgründerin, sondern für viele der Protagonistinnen und Protagonisten in dem neuen Standardwerk zum Kloster Altomünster gilt. Ein wichtiges Lese- und Lernbuch für alle historisch Interessierten, gerade in Zeiten des Umbruchs. Bildquelle (c) EOS-Verlag, 2020